„Sollten Mitglieder aus dem engsten Familienkreis beim Mantrailing als Zielpersonen eingesetzt werden?“
Diese Frage nach Familienmitgliedern als Zielperson (Versteckperson, Runner, VP) ist ein sehr heikles Thema, auf das ich in diesem Artikel mal etwas näher eingehen möchte. Auf die Gründe, warum viele Menschen auf den Gedanken kommen – aber auch welche Risiken dieses Vorgehen birgt.
Natürlich wie immer unter dem Blickwinkel, dass das Mantrailing Training eingesetzt wird, um ein Wohlbefinden (und nicht das Funktionieren) des Hundes anzustreben.
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Einsatz als Zielperson in der Hundeschule
Bei Hunden, die wenig motiviert sind, vorauszugehen und eigenständig einen fremden Menschen zu suchen, scheint der Einsatz von Bezugspersonen als Zielperson auf den ersten Blick eine zielführende Lösung zu sein. Die Hunde gehen dann meist zügig in die Suche nach ihrer Bezugsperson, es funktioniert also.
Dann ist doch alles fein, oder? Nein, es ist nicht fein – nicht für diesen Hund.
Risiken
Es gibt ja immer eine zugrundeliegende Ursache, warum ein Hund sich so verhält. Wenn ein Hund für ihn verständlich und motivierend (nein, ich meine damit kein hochpushend) angetrailt wird und er dennoch keine Ambitionen hat, zu gehen, gilt es erst an der Ursache für dieses Verhalten zu arbeiten.
An dieser Stelle jetzt die Bereitschaft des Hundes durch den Einsatz der Bezugsperson als Zielperson zu erhöhen kann fatal sein.
Warum? Dieser Hund wird sich nun aus Sorge zur Bezugsperson bewegen und er wird Erleichterung beim Ankommen verspüren. Ja, er wird vermutlich sogar zügig laufen, um seine Bezugsperson möglichst schnell zu finden, die Motivation hinter diesem Verhalten ist aber Verlustangst!
Diese gesamte Veranstaltung ist dann keine Freude für ihn. Dieser Hund kann das Mantrailing mit dem Auftreten von Verlustangst verknüpfen, die das Verschwinden seiner Bezugsperson auslöst. Das ist keine angenehme Situation für diesen Hund und für mich damit nicht mit dem Enrichmentgedanken vereinbar.
Die Wertigkeit der Empfindungen FREUDE und ERLEICHTERUNG unterscheiden sich enorm!
- Bei Freude kommt etwas für den Hund Positives zusätzlich dazu
- bei der Erleichterung bestand vorher etwas für den Hund Negatives (hier die Verlustangst), die dann beim Auffinden wegfällt. Puh… das fühlt sich für den Hund nicht gut an.
👉 Hunde, die beim Antrailen (noch) nicht in der Lage sind, sich auf die gemeinsame Aktion einzulassen, brauchen vorbereitende Maßnahmen, bevor das eigentliche Mantrailing Training begonnen werden kann.
Sehr gut geeignet ist der Aufbau der “Therapeutischen Futtersuche”. Der Einsatz einer Bezugsperson als Zielperson ist in meinen Augen kontraproduktiv.
Chancen
Wenn Teilnehmer*innen ihre Familie zum Training mitbringen, können die die Heldentaten ihres Hundes auf dem Trail miterleben. Das Hobby Mantrailing wird mit der Familie gemeinsam ausgeübt, alle freuen sich über die Erfolge. Gerade bei Hunden, deren Verhalten im Alltag nicht immer einfach für alle Familienmitglieder ist, kann so auch ein gewisser Perspektivenwechsel stattfinden. Die Familie erlebt den Hund eben anders! Als Held! Nicht nur als Problem…
Ob die Familienmitglieder für den eigenen Hund als Zielperson eingesetzt werden, muss sorgfältig abgewogen werden. Wenn das Familienmitglied wichtig für das Wohlbefinden, das Sicherheitsgefühl des Hundes ist, dann setzte ich persönlich diese Personen aus den obengenannten Gründen nicht im Training ein.
Mantrailing als Familien Event
Mantrailing ist fraglos ein aufwändiges und eher hochpreisiges Hobby. Da kommt schnell die nachvollziehbare Frage, ob man vielleicht auch mit der Familie üben kann, also außerhalb des organisierten Mantrailing Trainings. Ab einem gewissen Ausbildungsstand ist das mit einer guten Anleitung durchaus möglich.
Meistens wird dann von den Kund*innen vorgeschlagen, dass ja ein Familienmitglied als Zielperson eingesetzt werden kann.
Chancen
Zweifelsohne bietet sich so eine sehr einfache und auch familienfreundliche Möglichkeit, ein schönes Hobby mit dem Hund gemeinsam auszuüben. Die ganze Familie kann sich beteiligen, es wird keine extra Zeit benötigt und Geld kostet es auch nicht. Diese Form braucht keine großen Vorbereitungen und kann ohne fremde Hilfe oder Verabredungen durchgeführt werden.
Mit gutem Hintergrundwissen und einer guten Anleitung ist das grundsätzlich möglich.
Risiken
Ein Training ohne Trainer*in birgt natürlich grundsätzlich das Risiko, dass sich Fehler einschleichen oder der Trail für den Hund unpassend ist (aufgrund fehlender Kenntnisse über Schwierigkeitsgrade des Trails oder zu schneller oder multipler Steigerungen des Anspruchs).
Das lässt sich allerdings abfangen, in dem auch regelmäßig unter professioneller Aufsicht trainiert wird und das eigene Vorgehen bei der Suche außerhalb der Hundeschule wirklich gut mit dem/der Trainer*in abgesprochen wird.
Was sind weitere Risiken?
- Der Hund wird auf die Gerüche der Familienmitglieder konditioniert – damit ist es keine “Match to sample“ Aufgabe* mehr; dadurch kann die Verknüpfung mit dem Geruchsträger beim klassischen Mantrailing wird unter Umständen erschwert werden
Je nach Hund kann sich der Einsatz eines Familienmitgliedes als Zielperson allerdings sehr ungünstig auf die Erregungslage und die Emotionen auswirken:
- Bei einem Hund mit eher überschießender Erregung wird diese häufig noch stärker nach oben geschubst – in einen Bereich, der nicht mehr gut händelbar ist.
- Bei einem Hund, für den die Anwesenheit seiner Bezugspersonen wichtig für sein Wohlbefinden sind, besteht auch wieder das bekannte Risiko der geschürten Verlustangst. Der Hund sucht aus Sorge und empfindet Erleichterung statt Freude.
*Match to sample:
Beim Match to sample ist der Abgleich mit dem gezeigten Muster (Geruchsprobe) die einzige Möglichkeit, die Aufgabe wirklich zu lösen (nämlich dieser Spur zu folgen). Eine Match to sample Aufgaben erfordert eine Gedächtnisleistung, um das gezeigte Muster zu speichern – sich zu merken – und mit der Umwelt abzugleichen.
Auf ein Wort zur Eigensuche
Ich möchte in diesem Rahmen noch kurz auf die sogenannte “Eigensuche” eingehen. Eigensuche bedeutet, dass die Bezugsperson selbst den Trail läuft und anschließend durch den Hund ausarbeiten lässt.
Was der Hund sucht, ist immer eine Frage des Trainings und natürlich kann Hunden diese Art der Suche beigebracht werden.
Was sind die Vorteile?
- Es ist eine Suchaufgabe, die komplett unabhängig von anderen Menschen durchgeführt werden kann
- Die Aufgabe kann bei entsprechendem Hintergrundwissen sehr gut an den Hund angepasst werden
- Die Bezugsperson des Hundes hat größtmögliche Kontrolle über das Training (Zeit, Ort, Dauer)
Was sind die Nachteile?
- Wie beim Familienevent können sich Fehler ins Training einschleichen, wenn kein Feedback erfolgt
- Die positiven Effekte durch die Gruppe (Verbundenheit und Austausch mit Gleichgesinnten) entfallen
- Die Lernerfahrungen durch Beobachten anderer Teams entfallen
Was bedeutet das für das Training der Eigensuche?
- Es ist keine “Match to sample” Aufgabe, wie beim klassischen Mantrailing
- Der Hund verfolgt, anders als beim Mantrailing, die Spur einer Person, die anwesend ist
- Diese Suchaufgabe muss daher komplett eigenständig aufgebaut werden
- Ein anderes Signal/Ritual als beim klassischen Mantrailing aufbauen
Ein Hund, der bisher klassisches Mantrailing auf dem Geruchsband gemacht hat und mit einem Geruchsträger seines Menschen konfrontiert wird, wird diese Aufgabe nicht ohne extra Aufbau lösen können.
Warum?
- Der Hund hat den Geruch seines Menschen als irrelevant für die Aufgabe abgespeichert
- Die Quelle des präsentierten Geruchsträgers (die zu suchende Person) steht neben dem Hund (kein Trail notwendig)
Mein Fazit
Der Einsatz von engsten Familienmitgliedern als Zielperson ist sehr risikobehaftet: Schlimmstenfalls ist die Suche für den Hund sehr belastend und die Emotion beim Auffinden ist Erleichterung – nicht Freude. Das widerspricht komplett dem Enrichmentgedanken.
Hunde, die sich nicht auf ein Antrailen einlassen können, brauchen vorbereitende Maßnahmen, bevor das eigentliche Mantrailing Training begonnen werden kann.
Komplett losgelöst vom klassischen Mantrailing (Match to sample) kann die Suche nach Familienmitgliedern oder auch die Eigensuche als eigenständige Suchaufgabe aufgebaut werden. Diese Suchaufgaben erfordern weniger Aufwand für die Teams.
Allerdings entfallen auch viele wertvolle Vorteile aus dem klassischen Mantrailing Training:
- Der Lerneffekt durch Feedback eines/r Trainer*in
- Die stärkende Gemeinschaft einer wertschätzenden Gruppe
- Der korrekte Aufbau einer Match to sample Aufgabe.
Richtig wertvoll ist hingegen die Anwesenheit von Familienmitgliedern im Training (und der Einsatz als Zielperson für andere Teams), um den eigenen Familienhund als Held zu erleben und dabei auch über die Körpersprache der Hunde zu lernen.
Also liebe Familienmitglieder, kommt ins Training mit – aber versteckt Euch lieber nicht für Euren eigenen Hund.
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